Simon Gaudenz: Ein Schweizer in Hamburg

Interview mit Simon Gaudenz

Simon Gaudenz: Ein Schweizer in Hamburg

Dirigent Simon Gaudenz über seinen musikalischen Werdegang und seine Ziele als ­künstlerischer Leiter der ›Hamburger Camerata‹

 

Wenn Simon Gaudenz Ruhe, neue Kraft und Inspiration sucht, findet er all das beim Wandern in den Bergen. Ursprünglich aus Basel stammend, hat der 39-Jährige nun seit einem Jahr die Position des Chefdirigenten der ›Hamburger Camerata‹ inne. Ist das nicht ziemlich weit weg von den Bergen? »Ja, ich vermisse die Berge schon«, meint er und lacht, »aber die Stadt Hamburg ist ja unglaublich schön. Außerdem gefällt mir die Mentalität der Menschen hier: dieses Direkte, manchmal vielleicht etwas Raue, aber immer Positive, diese Offenheit für Neues – all das imponiert mir!« Hinzu kommt, dass der Vater einer kleinen Tochter mit seiner Familie nicht in Hamburg, sondern in München lebt, von wo aus er in die Hansestadt pendelt.

 

Von 2004 bis 2011 hatte er das ›Collegium Musicum Basel‹ und zuvor die ›camerata variabile basel‹ geleitet. Seit Beginn der Saison 2010/2011 wirkt er zudem als Erster Gastdirigent des ›Odense Symphony Orchestra‹ in Dänemark und ist auch in anderen Ländern regelmäßig als gefragter Gastdirigent unterwegs. Wie lautet nun seine Zwischenbilanz nach einem Jahr ›Hamburger Camerata‹? »Es war schön, zu einem Orchester dazuzustoßen, das sich gerade selbst im Aufbruch befand. Dank verschiedener personeller Wechsel und einer allgemeinen ›Verjüngung‹ habe ich nun nicht mit ›Altlasten‹ zu kämpfen, sondern kann das, was da ist, direkt in Richtung Zukunft entwickeln. Besonders gut gefällt mir das Konzept, jedes Programm unter ein bestimmtes Motto zu stellen. Mit Hilfe außermusikalischer Bezüge kann man die Menschen dann auch an neue Werke heranführen, von denen sie sich vielleicht abgeschreckt fühlen würden, wenn sie einfach so trocken auf dem Konzertplakat stünden.«

 

Dennoch bilden die Werke der Wiener Klassik bis zurück in die Romantik seinen derzeitigen künstlerischen Schwerpunkt. Schumann, Mendelssohn, Beethoven, Mozart und Haydn, so meint Gaudenz, würden sich sehr gut für ein Kammerorchester wie die ›Hamburger Camerata‹ eignen. »Man könnte sagen: Ich habe jetzt ein Orchester gefunden für das Repertoire, das ich so sehr liebe. Und ich finde, wenn man dieses Repertoire in verschiedenen stilistischen Zugangsarten beherrscht, ist man sehr gut aufgestellt, um auch weiterzugehen in Richtung 20. und 21. Jahrhundert.«
Dabei hat Gaudenz, der 2006 den Internationalen Dirigentenwettbewerb ›Gennady Rozhdestvensky‹ und 2009 den ›Deutschen Dirigentenpreis‹ gewann, übrigens auch ein sehr klares Ziel vor Augen, was die Außenwirkung des Ensembles angeht: Er möchte es zu dem ersten Kammerorchester Hamburgs machen, und zwar auch in der internationalen Wahrnehmung.
Für den Beruf des Dirigenten entschied sich der zunächst schwerpunktmäßig fußballbegeisterte Gaudenz, wie er sagt, »gar nicht so früh«. Er begann seine musikalische Karriere am Klavier – unter anderem als Mitglied einer Rockband, die eigene Lieder in Schweizer Mundart komponierte –, studierte dann Klarinette und Komposition in Luzern und Graz und entschied sich schließlich für ein Dirigierstudium in Freiburg und Salzburg. Die Klarinette legte er zu diesem Zeitpunkt endgültig beiseite.

 

Als Dirigent ist es ihm heute ein Anliegen, die Musiker in die Interpretation der zu erarbeitenden Werke miteinzubeziehen. Natürlich, erklärt er, könne auch bei 30 oder 40 Musikern nicht immer jeder den künstlerischen Prozess mitbestimmen, aber er versuche durchaus, die Mitwirkenden einzeln anzusprechen und zu jedem eine Art der künstlerischen Beziehung aufzubauen. Und das nicht nur mit dem Ziel der Motivation, sondern auch, um persönlich von diesen »hochqualifizierten Musikern« zu lernen: »Um jede Interpretation muss gerungen werden, und einen guten Dirigenten zeichnet meiner Meinung nach auch aus, dass er hier nicht nur gibt, sondern auch nehmen kann.«

 

Crescendo 6/2013, 16. Oktober 2013
Julia Hartel

 
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