Neuer Chefdirigent hegt brave Visionen

Neuer Chefdirigent hegt brave Visionen

Simon Gaudenz‘ erste Camerata-Saison Von Christoph Forsthoff
Alles neu macht die gemeinnützige GmbH? Ganz so wirtschaftsjuristisch will Robert Hille die Saison 2012/13 nicht sehen, doch eine gewisse vorsichtige Euphorie war in den Worten des Geschäftsführers der Hamburger Camerata unüberhörbar, als er jetzt deren Programm für die kommende Spielzeit vorstellte und den „Aufbruch in eine neue Ära“ beschwor. Die indes vor allem am künftigen Chefdirigenten des Kammerorchesters hängt: Simon Gaudenz, 37-jähriger Schweizer, in leitender Funktion in Basel und Odense und bereits mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Deutschen Dirigentenpreis.
Nachdem die Camerata in dieser Saison ihr 25. Jubiläum gefeiert habe, gehe es nach dem Rückzug ihres langjährigen Leiters Max Pommer nun um „neue Visionen“, verkündete Hille. Deren revolutionäres Potenzial sich dann doch in Grenzen hält, wie ein Blick ins Programm zeigt, das neben „Russischen Visionen“ mit Schostakowitsch, Strawinsky und Prokofjew und „Virtuosen Serenaden“ von John Corigliano oder Dag Wirén vor allem auf Bewährtes setzt – „Bach & Sons“, das „Festliche Weihnachtskonzert“ oder „Karneval“ mit Rennern von Bernstein, Gershwin und Saint-Saens sowie Rolf Seelmann-Eggebert als Sprecher. „Wir müssen sehen, dass wir nicht zu ausgefallene Wege gehen, weil wir auch unser Publikum dabei halten müssen“, räumte Camerata-Gründerin Meike Thiessen ein.
Doch diese Gefahr besteht beim neuen Chef nicht: Gaudenz präsentiert sich zum „Auftakt“ am 19. September nämlich nicht nur mit den drei letzten Sinfonien Mozarts, der sympathische Eidgenosse stellte auf die Frage nach seinen Wunschprojekten auch fest, die intensive Beschäftigung mit Werken führe ihn letztlich doch immer wieder zu den Klassikern zurück – „und an denen wächst auch ein Orchester mehr als an einem Spohr-Zyklus“. Um eben diese gemeinsame Arbeit aber gehe es ihm, und „da kann man mit einem Kammerorchester viel mehr experimentieren“ – „ich sehe die Hamburger Camerata als kleines Labor, in dem man die verschiedenen Ideen zusammensetzt“.
Dass dafür das Budget eher schmal ist, hat der künftige Chefdirigent bereits bei der eingeschränkten Auswahl der Solisten für die neue Saison erfahren müssen. Doch auch sonst steht der kalkulierte Etat von 350.000 Euro derzeit noch auf sehr wackligem Grund: Denn 100.000 Euro sollen von der Kulturbehörde kommen – diese Summe hat Hille als „einmalige Starthilfe“ für die neu gegründete Hamburger Camerata GmbH beantragt. Noch aber steht deren Zusage in den Sternen des derzeit debattierten Behördenhaushalts – und dass die Musiker des Orchesters als Gesellschafter mit eigenen Einlagen von 25.000 Euro mit engagiertem Beispiel vorangehen, wird Kultursenatorin Barbara Kisseler kaum beeindrucken: Bisher lag die jährliche Projektförderung bei einigen Tausend Euro.
Doch nach dem Rückzug des langjährigen Hauptsponsors ist das Ensemble auf städtische Unterstützung angewiesen: Allein mit der angestrebten Steigerung der Besucherzahlen – diese stagnieren seit Jahren bei rund 1.100 Besuchern pro Konzert – und Kostenreduzierungen ist die Lücke nicht zu schließen. „Ich wusste, was auf mich zukommt“, gab sich Gaudenz optimistisch. Und fügte lachend an: „Zumindest zum Teil …“
 
Die Welt / 17.04.12
 
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