Virtuose Serenade | Dienstag, 11. Juni 2013
Leichtfüßig in die Sommerpause
Die Hamburger Camerata verabschiedet die Saison mit einer wahrlich ›Virtuosen Serenade‹
Musizieren geschieht mit den Augen. Nein, gerade nicht wegen des Notenlesens. Sondern weil ein Musiker, und sei es nur aus dem Augenwinkel, das musikalische Geschehen aus Bewegungsimpulsen intuitiv viel schneller erfasst, als er es bewusst je könnte. So entsteht im Idealfall aus lauter Einzelpersonen ein atmender Organismus.
Deshalb fordert Kolja Blacher „viele Augen“, wenn er mit der Hamburger Camerata arbeitet. Schüttere Silberlöckchen umspielen den Kopf des 49-Jährigen wie den eines Fauns; über den Rand seiner Brille hinweg saugt er die Blicke der Musiker förmlich an. Anders ginge es auch nicht, er hat nämlich keinen Dirigierstab: Blacher, ein international gefragter Geiger, leitet vom ersten Geigenpult aus die „Sommerliche Serenade“, mit der die Camerata heute ihre Saison beschließt. Genau genommen hat er dabei drei Funktionen inne: die des musikalischen Leiters, die des Konzertmeisters und, fast nebenbei, die des Solisten. Auf dem Programm stehen Vivaldis gepfeffert virtuose Violinkonzerte „Die Vier Jahreszeiten“ und ein Concerto grosso des barocken Komponisten Arcangelo Corelli. Dazu mischt Blacher in bester Camerata-Tradition selten gespielte Werke aus dem frühen 20. Jahrhundert, nämlich „Vier Transsylvanische Tänze“ von Sandor Veress und ein Divertimento für Streichorchester von Boris Blacher, dem Vater des Künstlers.
So leichtfüßig die Musik klingt, so anspruchsvoll ist diese Leichtigkeit zu verwirklichen – ohne Dirigenten zumal. „Orchestermusiker sind daran gewöhnt, die Verantwortung beim Dirigenten abzugeben“, sagt er. „Wenn sie ohne ihn spielen, müssen sie diese Verantwortung selbst übernehmen.“ Das erfordert nicht nur Hinsehen, sondern ein sehr feines Zuhören und Reagieren. Die Musiker müssen selbst merken, wer gerade die wichtigste Stimme hat und wer begleitet, wer also anführt und wer zurücktritt – ein delikates Wechselspiel, bei dem sehr aufregende Musik herauskommen kann.
Hamburger Abendblatt, 13. Juni 2013
Verena Fischer-Zernin
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